Katharina wurde am 23. November 1930 in Wien geboren und starb am 11. Dezember 1998 im ICE auf der Reise von Wien nach Hamburg. Katharina führte ein Doppelleben als linker Journalist in Wien und als Wirtin des „Toom Peerstall“ in der Clemens-Schultz-Straße.
Eine Erinnerung an das Lokal aus dem Roman „Diffuses Licht“ von Olav Meyer-Sievers, erschienen 2015:
„Klein, dunkel, schmuddelig und brechend voll. Hier traf sich eine bunte Mischung aus Alternativen, Hausbesetzern und Schwulen. Die Wirtin war eine wohlbeleibte ältere Dame mit sehr tiefer Stimme und leichtem Bartansatz. […] Gin Tonic bestand mindestens aus vier Fünfteln Gin und höchstens einem Teil Tonic. An der Musicbox konnte man per Münzeinwurf ein wildes Programm aus Rocksongs, alten deutschen Schlagern, Neuer Deutscher Welle und Music aus aller Welt zusammenstellen. […] ich drückte an der Musicbox die Ziffern für Smooth Operator von Sade, Pata Pata von Miriam Makeba und Non, je ne regrette rien von der Piaf.“
Die Storys über sie sind so zahlreich wie die Lurex-Fäden in ihrem Pullover. Dass sie, mit kräftiger Figur und auch gern Trachtenjacken tragend, bei einer Kneipenschlägerei selbst über den Tresen sprang, um die Kampfhähne auseinanderzubringen. Wie sie überhaupt alles selbst regelte. Wie sie österreichische Käsekrainer unter dem Rock nach Hamburg schmuggelte. Wozu sich faktenbasiert nur sagen lässt, dass Käsekrainer Schweinefleisch-Brühwürstchen mit Emmentaler-Bröckchen drin sind. Enge und intensiver Körperkontakt waren quasi Markenzeichen des Lokals. Die Gäste-Mischung: LGBTIQ. (Ein Kürzel, das für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen steht. Und das damals noch nicht existierte.) Im Nachruf des schwulen Stadtmagazins „hinnerk“ vom Januar 1999 heißt es:
„Dort saß sie, ebenso freundlich wie geschäftstüchtig („Was kann ich Dir antun?“) hinter dem Tresen, rechts in Griffnähe ein Glas Johnny Walker, den linken Arm auf eine Keksdose abgestützt, eine Zigarette balancierend.“
Neben dem „Peerstall“, der immer nur „bei Katharina“ hieß, betrieb sie ein Lokal namens „Posthorn“ in derselben Straße. Dort servierte Katharina Wienerisches – neben Mehlspeisen (Backwerk) und riesigen Wiener Schnitzeln auch Literarisches mit ihren Lieblingsautoren Friedrich Torberg und Hugo Wiener. Das kleine, schlauchartige Lokal mit dem Reetdach über dem Tresen, der Musicbox und dem Flipper beherbergte von 1919 bis 1965 eine andere St.-Pauli-Legende: Christian Warlich, selbsternannter „König der Tätowierer“, betrieb vorne die Kneipe, hinten ein hochmodernes Tattoo-Studio. Warlichs Reklame-Slogan 1927: „Alles, was der männliche Körper ausdrücken soll, steche ich ein: Politik, Erotik, Athletik, Aesthetik, Religiös!“ und das Versprechen: „Meine Tätowierungen dauern über den Tod hinaus.“ Anfang der 1980er Jahre übernahm Katharina, Gewerbeanmeldung: 24. Februar 1981.
Auf dem Formular: österreichische Staatsbürgerschaft, Vorname: Johann, genannt Katharina. In Wien gab sie als er ein Anzeigenblatt heraus und mischte in der Lokalpolitik mit. Zeitweise arbeitete er als Sekretär für den sozialdemokratischen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky (Kreisky regierte von 1970 bis 1983).
In den 1970er und 1980er Jahren war „Fummel-Trine“ ein gängiger Ausdruck für „Transen“. Ein Trans-Vestit ist ein Hinüber-Kleider: trans = hinüber und vestire = kleiden.
Katharina hatte als Nachfolgerin Vera (Werner) Helm erkoren, die den Weg einer operativen Geschlechtsangleichung beschritt. Einmal trat Katharina übrigens doch in Hamburg als Mann auf: auf der Bühne des Schmidts Tivoli 1995 als Kaiser Franz Josef II. in der klamottigen Operette „Im Weißen Rößl“. Mit angeklebtem Bart.
Links und Literaturangaben:
Bernhard Rosenkranz, Gottfried Lorenz
Hamburg auf anderen Wegen – Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt
Hamburg 2005 (Lambda Verlag)
... hier ein Abschnitt über „Toom Peerstall“
* Bildquelle: Eckart Bühler
Comments