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INGRID SONJA LIERMANN / 1926-2010


Ingrid Liermann, geboren am 18. April 1926 in Hamburg, gestorben am 12. April 2010 in Hamburg, Inhaberin der Ika-Stuben an der Budapester Straße 38 und Verfolgte des Nationalsozialismus.

„[…] die weibliche Bedienung trug Hosen […]“ Aus einem Bericht eines Beamten der Fahndungskommission „Homo“ über eine Kellnerin in einem Hamburger Lesbenlokal 1969.


Unmittelbar nach der Befreiung am 8. Mai 1945 öffneten auch in Hamburg wieder Bars und Lokale, in denen sich Lesben treffen konnten – kleine Freiräume außerhalb der rigiden heteronormativen Zwangswelt für Frauen, die Frauen begehrten. Orte, an denen sie ohne Versteckspielen und Anpassungsdruck einander treffen, tanzen, flirten und feiern konnten. Ein solcher Ort waren von 1950 bis 1997 die Ika-Stuben in St. Pauli. Anfangs tarnte sich die kleine Kneipe noch durch eine Konditorei. Als das Lokal eröffnete, hieß die Budapester Straße noch nach dem 1945 von den Nazis ermordeten Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) Ernst-Thälmann-Straße. Mit dem sich verfestigenden Antikommunismus der jungen BRD schien das nicht mehr zumutbar, nun sollte an den Ungarn-Aufstand 1956 erinnert werden. Die Ika-Stuben, der „Treffpunkt für Damen“, war das einzige Lokal, in dem nur Frauen Zutritt hatten. Der Blick auf lesbische Frauen war von Ignoranz, Verachtung und Kriminalisierung geprägt.

Wie fanden Frauen in Zeiten ohne Internet Frauen-Orte?


Es gab Tourismusführer wie „Hamburg von 7 bis 7“. Wer mutig war, konnte einen Taxifahrer oder einen Hotelportier fragen oder im Branchenteil des Telefonbuchs fündig werden. Eventuell konnte frau schwule Bekannte fragen. Die „einschlägigen“ Lokalitäten befanden sich vor allem auf St. Pauli und in St. Georg.


Ingrid Liermann ist immer für ein selbstbestimmtes Leben und Lieben eingetreten – für sich und für andere Frauen. Schon in den frühen 1960er Jahren kellnerte sie in den Ika-Stuben, 1966 konnte sie den Laden von einem Frauenpaar übernehmen. Es war eine Zeit, in der sie ihr maskulines Outfit erst im Lokal anziehen konnte. Frauen in Hosen waren bis in die 1970er Jahre ein Skandalon – für Lesben war das Tragen dieses Kleidungsstücks Gegenwehr gegen die rigiden Weiblichkeitsnormen und auch ein Ringen um Sichtbarkeit. In der Subkultur der Ika-Stuben gab es regelmäßig Motto-Partys. Frauen aus dem Ausland verbrachten hier ihre Ferien. Als ein Fernsehteam in den 1960er Jahren eine Reportage drehen wollte, gewährte Ingrid Liermann Einlass, engagierte aber Prostituierte, die die Gäst:innen vertraten – um ihre Stammgäst:innen zu schützen. Mit der Frauen- und Lesbenbewegung der 1970er Jahre war das Konzept Subkultur nicht recht vereinbar – die Schubladen hießen nun „Bewegungslesbe“ (frau ging in die Frauenkneipe in der Bernstorffstraße / Ecke Stresemannstraße) versus „Sublesbe“.


Ingrid Liermann hat hart gearbeitet, gut verdient und gut gelebt. Doch gesicherte Verhältnisse umgaben sie weder am Anfang noch am Ende ihres Lebens: Sie wurde unehelich geboren, ihre Mutter war gerade 17 Jahre alt. Nach damaliger Gesetzeslage stand sie fortan unter Aufsicht des Jugendamtes. Eine Hamburger Spezialität war der amtliche Vorwurf des „moralischen Schwachsinns“, der auch der frauenliebenden Ingrid Liermann zum Verhängnis wurde. Die verantwortliche oberste Hamburger Fürsorgerin, Dr. Käthe Petersen, schied erst 1966 hochgeehrt aus dem Amt.


Ab 1941 kam Ingrid in verschiedene Jugendheime – aus einigen konnte sie fliehen. Im Versorgungsheim Farmsen erllitt sie Zwangsarbeit und Dunkelhaft. Wegen ihrer Widerständigkeit wurde sie noch 1945 in ein Arbeitserziehungslager verschleppt. Erst als sie 1947 klagte, wurde sie offiziell „mündig“.


Links und Literaturangaben:

Katja Nicklaus , Ingrid Sonja Liermann (2018), in: Digitales Deutsches Frauenarchiv


Bernhard Rosenkranz, Gottfried Lorenz, Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt, Hamburg 2005 (Lambda-Verlag)


Bernhard Rosenkranz, Ulf Bollmann, Gottfried Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Hamburg 2009 (Lambda-Verlag)



*Bildquelle: Digitales Deutsches Frauenarchiv


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