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ANGIE STARDUST / 1939-2007


Geboren am 23.12.1939 in Virginia/ USA, gestorben am 21.10.2007 in Hamburg;

Sängerin, Entertainerin.

„Ohne Gott in mir zu sein, hätte ich das nicht geschafft. Konnte ich das nicht schaffen. Gott hat Alle geschaffen und ich kann mir nicht vorstellen, dass (…) ich bin ein mistake von Gott“ (Angie).


Zweimal war sie die Erste: In Rosa von Praunheims Film „Verlorene Seelen“ aus dem Jahr 1983 ist sie die erste Transsexuelle, die über sich und von sich erzählt. Ein berührender Monolog über scheinbar ferne Zeiten. Siebenmal wurde Angie wegen des Tragens von Frauenkleidung ins Gefängnis geworfen. Im Club 82, einem bekannten New Yorker Nachtclub, in dem „female impersonators“ - in Deutschland hieß das damals „Damenimitatoren“ - ein überwiegend heterosexuelles, weisses Publikum bespaßten, ist sie die erste schwarze Künstlerin. Da ist sie noch Teenager. Mit 14 stand sie schon auf der Bühne.


Geboren wurde sie als Philipp Bailey in Virgina. Sie wuchs in Haarlem, New York, auf. Immer fühlte sie sich weiblich. In ihrem Monolog in „Verlorene Seelen“ - eine irre Party von US-Amerikaner*innen in West-Berlin - berichtet die „Hamburger Königin“ Angie Stardust von ihrem prügelnden Vater und ihrer Mutter, die sie nicht schützte. Der Film zeigt sie in inniger Umarmung mit einer Frau. Es gibt Debatten über Geschlechts-Identitäten und Begehren, über Rassismus und Nazis früher und heute, es wird nackt an der Berliner Mauer getanzt, bis die Polizei kommt – und in Angies Imbiss wird absolut ungenießbarer Fraß gemixt und serviert. Angies Stimme hebt sich umso deutlicher ab. Ihr unverwechselbarer Soul, lebensfreudig, verletzlich. Und königlich. Da hat sie den Glamour schon nach Hamburg, nein, nach St. Pauli gebracht.


Vielleicht war in ihrem Leben auch alles drin wie in Praunheims Film. Die ersten Hormone bekommt sie von einer Freundin. Sie tritt in Clubs in Cannes, Marseille und Paris auf. In den 1970ern kommt sie nach Deutschland. Sie muß immer mal wieder ihren Körper verkaufen. Eine Begabung fürs Geschäft und fürs bürgerliche Leben mit Krankenkassen- und Behördenchallenge fehlte ihr leider. Sie mochte Tequila, trank aber vor und während der Auftritte konsequent nichts. Lange Jahre sang sie im Hamburger Pulverfass. Hier förderte sie der Gründer des ältesten deutschen Travestie-Lokals, Heinz-Diego Leers. Das war noch in St. Georg, wo er 1973 am Pulverteich das Cabaret eröffnete. (Erst 2001, nach Angies Zeit, zog es an die Reeperbahn um.) Leers war seinem schwarzen Star auch freundschaftlich verbunden. Die Betreiber des Schmidt Theater sahen Angie auf der Pulverfass-Bühne und wollten sie für ihr neues Projekt – am 1. November 1991 eröffnete über dem alten und wieder aufgemöbelten Tivoli-Theater „Angies Nightclub“. Ein nostalgischer, schummriger, aber stilvoller Laden, irgendetwas zwischen Gründerzeit und Fünfziger Jahre. Ihr langjähriger Kollege und Freund Uwe Christiansen, damals Baarkeeper im Angies Nightclub, hält Angies fünf Hamburger Jahre, in dem sie im eigenen Club auf dem Spielbudenplatz empfing und mit ihrer Casablanca Band groovt, rockt und bluest, für ihre besten. Das erste Separee vorne rechts ist Angies. Promis drängelten sich hier. Viele wollten in dem einzigartigen Lokal auftreten. Angie förderte junge Talente und sang auch mit vielen – wie etwa mit Marla Glen und Roger Cicero.

Zunehmend hatte sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Das wohl Schlimmste: sie verlor ihre Stimme. Nach mehreren Schlaganfällen war sie ihre letzten zehn Jahre auf den Rollstuhl angewiesen. Sie blieb „eine Erscheinung“.


In Nachrufen hieß es: „Der Kiez verliert seinen schillerndsten Stern.“


Quellen:

Aufsatz von Niki Trauthwein, Loccumer Protokolle Pelikan 1/2017

Film von Rosa von Praunheim von 1983 „Stadt der verlorenen Seelen“;

Interview mit Uwe Christiansen am 12.1.2023


Bildquelle: Eckart Bühler


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